Fernseh-Protokolle

28.09.2005

#Protokoll Nr. 4:

„Rapid ist ab morgen gelb mit roten Punkterln
und heißt SK Milky Way.“





artikel


Fabian Burstein sieht fern. Auf der Couch zu Gast: Rudolf Edlinger



„I’m just a lonely boy.“ Sechs Wochen ohne Judith. Da lebt man sogar mit der Sozialporno-Reihe LIEBESG’SCHICHTEN UND HEIRATSSACHEN mit. Einziger Lichtblick: Die schönste Nebensache der Welt – das hemmungslose Fußballschauen. Was für ein Glück also, dass die Bundesliga gerade in eine neue Saison gestartet ist und sich einer ihrer charismatischsten Protagonisten zu einem zweisamen TV-Nachmittag bereit erklärt hat.
Freitag, 22. Juli 2005. Was Rudolf Edlinger und mich zusammenführt, hat nichts mit Politik zu tun. Vielmehr wollen der Rapid-Präsident und ich einer cineastischen Heldenverehrung mit Fußball-Affinität frönen. DAS WUNDER VON BERN steht auf dem Programm. Der Besprechungsraum eines Nobelhotels dient als würdiger Rahmen. Dort findet man die Bereitstellung eines Video-Rekorders ziemlich witzig („Ich weiß nicht, ob wir so was überhaupt noch haben“), ansonsten ist das Service einwandfrei.

VHS, das bedeutet aber nicht nur belächelt werden, sondern auch zig Filmfragmente in der Vorschau zu bestaunen. Rudolf Edlinger nutzt die Gelegenheit für einen Exkurs: „Eine öffentliche Vorführung sind wir nicht. Ab vier wären wir öffentlich. Wenn Sie also zwei Leuten schreiben, der Edlinger ist ein Gewaltverbrecher, dann ist das strafbar, weil sie es öffentlich getan haben. Wenn Sie das nur einem schreiben, kann ich Sie gar nicht klagen.“ Schluck. Doch die Rechtsbelehrung ist bloß der Auftakt zu einer typischen Edlinger-Anekdote. „Ich hatte mal eine Auseinandersetzung mit einem wirklich reaktionären Chefredakteur der Presse. In einem Interview wurde ich darauf angesprochen und da hab’ ich gesagt: ‚Man hört ohnehin, der sei angeblich ein Arschloch.’ Er hat mich geklagt.“ Erfolglos. Rudolf Edlinger lächelt zufrieden. Noch immer kein Hauptfilm. „Ich hab gelesen, Steffen Hofmann hätte bei Salzburg unterschrieben“, gebe ich mich keck. Ein gutes Stichwort. Denn Red Bull und Magna gehören nicht zu den Lieblingen des Rapid-Präsidenten. „Stellen Sie sich vor, ich sag: Rapid ist ab morgen gelb mit roten Punkterln und heißt SK Milky Way. Ich glaub, da erschlägt mich einer.“

Endlich ist es soweit. DAS WUNDER VON BERN beginnt. Ich merke schnell, dass Plauschen ab nun nicht mehr oberste Priorität hat – Rudolf Edlinger möchte lieber zuschauen. Einerseits weil, „verschiedene Handlungen schön zu einem Ganzen zusammengefügt sind“, andererseits, weil er diese „schwere Zeit“ selbst miterlebt hat. Als die deutsche Mannschaft den Weltmeisterpokal entgegen nimmt, frage ich nach dem Gefühl, vor 48.000 Menschen eine Trophäe in den Händen zu halten. „Als hätte man selber gewonnen. Der Sieg hat viele Väter.“ Nachsatz: „Ich habe den Verein als Neunter übernommen. Da bin ich mir oft sehr einsam vorgekommen.“ Ich verstehe. Andererseits: Was sind schon sechs Wochen Lonely Boy-Dasein gegen 3 Fußball-Saisonen!


Diese Kolumne bildet die Basis für Live-Protokolle, die Fabian Burstein mit Rudolf Edlinger am 15. September um 20.15 Uhr im Wiener Rhiz aufzeichnen wird. Eintritt frei.


erschienen im September 2005

13.06.2005

#Protokoll Nr. 3:

„Von Provinz-Muskelprotzen und Musikantenstadl-Frisuren“



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Fabian Burstein sieht fern. Auf der Couch zu Gast: Clarissa Stadler


Wenn es um anekdotische Erzählungen aus dem städtischen Alltag geht, beschränkt sich Clarissa Stadlers Erfahrungsschatz nicht bloß auf die schriftstellerische Gestaltung ihrer Romanfigur N.: „Heute hat mir im Supermarkt ein Typ mit Alkohol-Fahne und kaputtem Daumen einen Kaugummi unter die Nase gehalten, weil er wissen wollte, ob der gut riecht.“ Thema Menschen-Erlebnisse. Eine gute Gelegenheit, endlich mal meine phobischen Zustände im Verrückten-Transporter U6 zu outen. Ich stoße auf Verständnis. Das tut gut.

Freitag, 13. Mai 2005. Was Clarissa Stadler und mich zusammenführt sind keine therapeutischen Interventionen sondern zwei „Erfolgs-Formate“. Sex and the City und Desperate Housewives. Schicker Manhatten Lifestyle trifft auf biederes Vorstadt Idyll, Ex-Kult auf TV-Hoffnung. Bevor wir loslegen, gilt es persönliche Präferenzen bezüglich der SATC-Protagonistinnen zu klären. Clarissa Stadler findet „die spießige Galleristin am authentischsten. Aber das verstehen die wenigsten.“ Ich auch nicht – schließlich geht nichts über die ausgefallene Schönheit Miranda. In einem sind wir uns einig: Carry ist null sexy. Und die Männer? Ich finde Mr. Big doch sehr attraktiv, stoße mit dieser Einschätzung aber auf Widerstand. „In der Serie verbreitet er schon Glamour, aber als Schauspieler ist er derbe und ernüchternd. Ich habe eher auf den Russen gesetzt.“ Während ich mir sukzessive wie ein schwuler bester Freund vorkomme, nimmt die Handlung ihren gewohnten Lauf. Cocktail-Parties, Sex-Gespräche, Single-Probleme – trivial hin oder her, interessant ist es auf jeden Fall. Das sieht auch Clarissa Stadler so: „Männer wissen nicht wie Frauen funktionieren und umgekehrt. Das war die einzige Serie, wo jede Folge Nachhilfe gegeben wurde.“

Bei Desperate Housewives sieht die Sache ein bisschen anders aus. Die Lieblingsserie von Laura Bush will uns nicht so recht packen. Das scheitert schon an den Männern. „Das sind so Provinz-Muskelprotze mit Musikantenstadl-Frisuren und John Boy-Schmäh.“ Auch der medial beschworene Zynismus der Serie kann einfach nicht punkten. „Der Habitus ist so altmodisch, als ob es bei der Blauen Lagune in der Shopping City gedreht worden wäre. Alles ist Fertigteil. Die Häuser, die Innen-Einrichtung, die Vorgärten, die Figuren. Selbst die Kinder sind Fertigteil. Da bedarf es schon der Ironie einer Frau Bush.“ Unsere Aufmerksamkeit richtet sich fortan auf die Werbeunterbrechungen. Das Müller Milch-Männchen löst bei Clarissa Stadler wahre Begeisterungsstürme aus. „Ich liebe solche Figuren.“ Zeit für mein zweites Geständnis: Ich steh’ auf den Charmin’ Bären. „Das ist ein typisch männliches Phänomen. Da geht’s um die Illusion, dass etwas rein wird ohne dass man sich schmutzig macht.“ Ich widerspreche nicht.


Diese Kolumne bildet die Basis für Live-Protokolle, die Fabian Burstein mit Clarissa Stadler am 16. Juni um 20.15 Uhr im Wiener Rhiz aufzeichnen wird. Eintritt frei.


erschienen im Juni 2005

27.05.2005

#Protokoll Nr. 2:

„Der Mensch ist stolz darauf, ein Prolet zu sein“



sebastian


Fabian Burstein sieht fern. Auf der Couch zu Gast: Sebastian Brauneis


Musik-Fernsehen ist tot, es lebe das „Vollprogramm“. Der erste Schritt zur ganzheitlichen Celebrity-Hölle: Sämtliche Sternchen entledigen sich ihrer Musiker-Identität und übersiedeln in Doku-Soaps. Schade nur, dass die Star-Banalität mit Villen, Pools und Luxusschlitten noch immer recht glamourös durch die Bildröhre kommt – daran kann auch der in „Newly Weds“ propagierte Stuhlgang von Jessica Simpson inklusive „stinky ass“ nichts ändern. Wie also soviel Perfektion zeigen, ohne die pubertätsgebeutelten Seher permanent zu frustrieren?

Donnerstag, 14. April. 20 Uhr. Richard hat sich in die Hände von Made begeben, um „die hohe Kunst des Flirtens zu lernen“. Schließlich möchte er trotz seiner 150kg ein richtig „scharfer Typ“ sein. Es geht um Schönheit, Auftreten, große Gefühle. Ein klarer Fall für Reality TV – und Sebastian Brauneis. Der stilsichere DJ, Regisseur und Label-Boss kann der Vorstellung, einer Stunde Made zu frönen, nur wenig abgewinnen. „Das ist so ein gestörtes Konzept, eine weitere Ausformung von diesem schwachsinnigen Elite Uni-Scheiß und dem ganzen Fitnessvideo-Dreck“, lautet sein erstes Resümee nach 30 Sekunden Trailer. Gepaart mit einer ordentlichen Portion Sozial-Pornographie ergibt das eine TV-Mischung, die selbst Elisabeth Spira erblassen lässt. Wir erfahren, dass Richard die Speisekarten aller Fast Food-Ketten in- und auswendig kennt und gerne auch mal rauf und runter futtert. Ein „Personal Coach“ mit dem fressaffinen Namen Heather MacDonald soll Abhilfe schaffen. Unterstützt wird sie von einem Dicken-Camp, das bei seiner Einheitskleidung auf orangefarbenes Guantanamo-chic setzt.

„Was der Dicke da durchleidet ist ein mediales Rollen-Modell. Dasselbe wie bei Pimp my Ride. Danke MTV, dass du mein Auto aufgemotzt hast, jetzt bin ich endlich wer.“
Ist das nicht der amerikanische Traum?
„Natürlich, aber die degenerierte Variante. Der amerikanische Traum ist ja Selfmade. Hier wird man gemacht.“
So gesehen ist Made ja ein richtig ironischer Name.
„Wir sollten da nicht zu philosophisch werden. Das ist einfach nur ein White Trash-Scheißdreck aus einer Vorstadt zwischen Nord-Chicago und Süd LA.“

Auch wieder wahr. Entscheidend ist: Bei Made geht’s zügig voran. In null Komma nichts wird abgenommen, am Camp-Lagerfeuer geküsst und kurz darauf wieder Schluss gemacht.
Gut so. Denn zu Hause wartet die tolle Nina, bei der Richard endlich landen will. Eine David Beckham-Vokuhila mit blauen Strähnchen soll Amors Pfeil treffsicher machen.
„Und warum muss er jetzt am Ende ausschauen wie ein verdammtes Arschloch.“ Sebastian Brauneis’ Skepsis bestätigt sich bei einem Glas Wein, das Nina demonstrativ nicht schmeckt.
„Wieder so ein Faszinosum dieser Formate. Die Menschen dort sind stolz darauf, Proleten zu sein. Anstatt zu sagen‚das schmeckt mir nicht’ kotzt man sich fast an.“
Sebastian Brauneis’ pessimistische Conclusio: „Zeitverschwendung. Dieses gnadenlose en passant beim Fernsehen tötet jeglichen Respekt. Es braucht anscheinend die Kino-Haltung, bei der ich die Mühe des Weges bewusst auf mich nehme. Wie bei Kunstwerken.“


Diese Kolumne bildet die Basis für Live-Protokolle, die Fabian Burstein mit Sebastian Brauneis am 19. Mai um 20.15 Uhr im Wiener Rhiz aufzeichnen wird. Eintritt frei.


erschienen im Mai 2005

17.05.2005

#Protokoll Nr. I:

„Der Porno läuft auf Viva, die Hand in der Hose haben wir"



fred schreiber


Fabian Burstein sieht fern. Auf der Couch zu Gast: Fred Schreiber


Erster Eindruck: „Das Grabtuch von Turin“. Wenn der Ex-„King of Pop“ öffentlich wie die historische Ausgrabung seiner eigenen Grabreliquien aussieht, dann ist es wieder soweit: Michael Jackson steht vor Gericht.
„Wir sind ja nicht zum Spaß hier, wir sind hier um zu feiern.“ So oder so ähnlich hat „Pop-Autor“ Benjamin von Stuckrad Barre das Phänomen des ausufernden „Spaßhabens“ ohne echten Spaß auf den Punkt gebracht. Ziemlich treffend. Denn was Fred Schreiber und mich an diesem Sonntag, den 13. März, zusammenführt, hat wenig mit Amüsement zu tun. Wir sind ja schließlich nicht zur Unterhaltung hier, wir sind hier um zu fernsehen. Auf dem Programm steht JACKO. DER PROZESS. Eine beinharte Geschichte. Vor allem wenn zeitgleich das Wiener Derby steigt und obendrein eine lange Nacht in der Fluc Mensa erfolgreich absolviert wurde.

Die erste unangenehme Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Vom echten Prozess keine Rede – Schauspieler stellen alles „originalgetreu“ nach. „Erinnert jetzt irgendwie an diese Gerichtssendungen von Sat 1“, lässt Herr Schreiber seinen Gefühlen freien Lauf. Eigentlich schon der Todesstoß. Aber für eine Übersiedlung zur Premiere-Übertragung ins Café Hummel ist es doch noch zu früh.
Das erste Geplänkel überstehen wir souverän. Wir finden sogar Zeit, die lyrische Metapher „Saft von Jesus“ für guten Rotwein zu verinnerlichen. Das wird sicher der Heuler auf der nächsten Party.

„Was waren das für Hefte? Er trug einen Pyjama! Rückenschmerzen und ungekämmt? Umsonst in Neverland wohnen... Er sagte Dudukopf zu uns! Sprite-Dose mit rotem Rand? Einspruch stattgegeben. Wo war Michael als sie sich den Playboy...“ lautet Fred Schreibers Zwischenresümee nach einer skurrilen, ersten Fernsehprozess-Halbzeit.
Richtig prickelnd wird’s dann bei Michael Jacksons Schaufensterpuppe, die auch als Bettgespielin fungierte. „Eine minderjährige Schaufensterpuppe“, präzisiert der Staatsanwalt und schafft mit dieser feinsinnigen Differenzierung gehöriges Skandalpotenzial für heimische Unterwäsche-Legenden. Wenig begeistert werden auch die Herausgeber amerikanischer Soft Porno-Magazine sein. „Ein Schluck Milch gefällig?“, soll Michael Jackson beim Anblick eines blanken Busen gehaucht haben. Ödipal halbwegs gefestigte Nacktfoto-Konsumenten wird das wohl weniger antörnen.

Fred Schreibers Conclusio: „Das ist zu verrückt, als dass es nicht wahr wäre.“ Wir glauben den Klägern also. Offen bleibt jedoch: Ist der Darsteller von Richter Rodney Melville wirklich jener Schauspieler, der auch den despotischen Alt-Primaten im
Remake von „Planet der Affen“ mimte?

Diese Kolumne bildet die Basis für Live-Protokolle, die Fabian Burstein mit Fred Schreiber am 21. April um 20.15 Uhr im
Wiener Rhiz aufzeichnen wird. Eintritt frei.



erschienen im April 2005

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