27.05.2005

#Protokoll Nr. 2:

„Der Mensch ist stolz darauf, ein Prolet zu sein“



sebastian


Fabian Burstein sieht fern. Auf der Couch zu Gast: Sebastian Brauneis


Musik-Fernsehen ist tot, es lebe das „Vollprogramm“. Der erste Schritt zur ganzheitlichen Celebrity-Hölle: Sämtliche Sternchen entledigen sich ihrer Musiker-Identität und übersiedeln in Doku-Soaps. Schade nur, dass die Star-Banalität mit Villen, Pools und Luxusschlitten noch immer recht glamourös durch die Bildröhre kommt – daran kann auch der in „Newly Weds“ propagierte Stuhlgang von Jessica Simpson inklusive „stinky ass“ nichts ändern. Wie also soviel Perfektion zeigen, ohne die pubertätsgebeutelten Seher permanent zu frustrieren?

Donnerstag, 14. April. 20 Uhr. Richard hat sich in die Hände von Made begeben, um „die hohe Kunst des Flirtens zu lernen“. Schließlich möchte er trotz seiner 150kg ein richtig „scharfer Typ“ sein. Es geht um Schönheit, Auftreten, große Gefühle. Ein klarer Fall für Reality TV – und Sebastian Brauneis. Der stilsichere DJ, Regisseur und Label-Boss kann der Vorstellung, einer Stunde Made zu frönen, nur wenig abgewinnen. „Das ist so ein gestörtes Konzept, eine weitere Ausformung von diesem schwachsinnigen Elite Uni-Scheiß und dem ganzen Fitnessvideo-Dreck“, lautet sein erstes Resümee nach 30 Sekunden Trailer. Gepaart mit einer ordentlichen Portion Sozial-Pornographie ergibt das eine TV-Mischung, die selbst Elisabeth Spira erblassen lässt. Wir erfahren, dass Richard die Speisekarten aller Fast Food-Ketten in- und auswendig kennt und gerne auch mal rauf und runter futtert. Ein „Personal Coach“ mit dem fressaffinen Namen Heather MacDonald soll Abhilfe schaffen. Unterstützt wird sie von einem Dicken-Camp, das bei seiner Einheitskleidung auf orangefarbenes Guantanamo-chic setzt.

„Was der Dicke da durchleidet ist ein mediales Rollen-Modell. Dasselbe wie bei Pimp my Ride. Danke MTV, dass du mein Auto aufgemotzt hast, jetzt bin ich endlich wer.“
Ist das nicht der amerikanische Traum?
„Natürlich, aber die degenerierte Variante. Der amerikanische Traum ist ja Selfmade. Hier wird man gemacht.“
So gesehen ist Made ja ein richtig ironischer Name.
„Wir sollten da nicht zu philosophisch werden. Das ist einfach nur ein White Trash-Scheißdreck aus einer Vorstadt zwischen Nord-Chicago und Süd LA.“

Auch wieder wahr. Entscheidend ist: Bei Made geht’s zügig voran. In null Komma nichts wird abgenommen, am Camp-Lagerfeuer geküsst und kurz darauf wieder Schluss gemacht.
Gut so. Denn zu Hause wartet die tolle Nina, bei der Richard endlich landen will. Eine David Beckham-Vokuhila mit blauen Strähnchen soll Amors Pfeil treffsicher machen.
„Und warum muss er jetzt am Ende ausschauen wie ein verdammtes Arschloch.“ Sebastian Brauneis’ Skepsis bestätigt sich bei einem Glas Wein, das Nina demonstrativ nicht schmeckt.
„Wieder so ein Faszinosum dieser Formate. Die Menschen dort sind stolz darauf, Proleten zu sein. Anstatt zu sagen‚das schmeckt mir nicht’ kotzt man sich fast an.“
Sebastian Brauneis’ pessimistische Conclusio: „Zeitverschwendung. Dieses gnadenlose en passant beim Fernsehen tötet jeglichen Respekt. Es braucht anscheinend die Kino-Haltung, bei der ich die Mühe des Weges bewusst auf mich nehme. Wie bei Kunstwerken.“


Diese Kolumne bildet die Basis für Live-Protokolle, die Fabian Burstein mit Sebastian Brauneis am 19. Mai um 20.15 Uhr im Wiener Rhiz aufzeichnen wird. Eintritt frei.


erschienen im Mai 2005
lejuge - 9. Mai, 07:03

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es ist höchste Zeit, dass sich Deutschland dem Chartaland anpasst.

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